Wieder ein Fotofinish?

Bei der Abstimmung um die Liberalisierung der Öffnungszeiten von Tankstellenshops zeichnet sich ein spannender Ausgang ab. In der Tat befindet sich die Vorlage gemäss unseren Prognosen im statistischen Unschärfebereich. Wir haben darüber berichtet. „To close to call!“ würden Demoskopen in den Vereinigten Staaten ausrufen. Wirft man einen Blick zurück in die Vergangenheit, überrascht es nicht, dass uns aller Voraussicht eine knappe Entscheidung bevorsteht. Die Revision des Arbeitsgesetzes von 2005 kommt der Vorlage vom 22. September am nächsten. Damals kam es zu einem regelrechten Fotofinish. 50,6% der teilnehmenden Stimmberechtigten sprachen sich für eine Annahme aus. Lediglich 23‘000 Stimmten gaben den Unterschied zu Gunsten der befürwortenden Seite.

Die Parallelen zwischen den beiden Vorlagen sind frappant. Auch 2005 ging es um die umstrittene Sonntagsarbeit. Inhaltlich betrachtet war die Vorlage ebenfalls wenig ambitioniert. Die Vorlage erlaubte in grossen Zentren des öffentlichen Verkehrs die Beschäftigung von Verkaufspersonal an Sonntagen ohne Sonderbewilligungen und Angebotsbeschränkungen. De facto handelte es sich um eine Legalisierung des Status quo, da der Bundesrat als Reaktion auf ein Bundesgerichtsurteil eine temporäre Bewilligung erteilt hatte. Davon betroffen waren lediglich 2‘500 Angestellte. Die Abstimmung hatte also auch vor sieben Jahren vorwiegend symbolischen Charakter. Eine weitere Gemeinsamkeit betrifft den Umstand, dass eine Koalition aus Gewerkschaften, linken Parteien und religiösen Organisationen das Referendum ergriffen hatten. Nicht zuletzt aufgrund der Ablehnung durch Letztere liess sich die Meinungsbildung der StimmbürgerInnen nicht auf einen klassischen Links-Rechts-Gegensatz reduzieren. Gemäss der Nachbefragung (VOX-Analyse) spielte neben der Einstellung zur Markwirtschaft die Religiosität eine gewichtige Rolle. So lehnten regelmässige KirchenbesucherInnen die Vorlage grossmehrheitlich ab. Die Bedeutung dieser zweiten Konfliktdimension trug in entscheidender Weise zur Spaltung des bürgerlichen Lagers bei, was zur knappen Entscheidung führte.

Aufgrund ähnlicher Voraussetzungen legt die Abstimmung aus dem Jahre 2005 den Schluss nahe, dass am nächsten Sonntag Sieger und Verlierer erst am späteren Nachmittag feststehen werden. Den Ausschlag dürften die moderaten StimmbürgerInnen geben. Vor 7 Jahren war in diesem Segment die Sprachregion von Bedeutung. Während die politische Mitte in der Romandie der Vorlage ablehnte, stiess sie in der Deutschschweiz auf eine matchentscheidende Unterstützung.

Quelle: Hirter, Hans (2005). Analyse der eidg. Abstimmungen vom 27. November 2005. Bern: Institut für Politikwissenschaft.