Fehlkonstruktion Zustimmungsquote

Die Abstimmungskampagnen vom 24. November befinden sich in ihrer heissen Phase. Trotzdem wagt 50plus1 einen Blick über den Tellerrand.

Die direkte Demokratie erfreut sich weltweit einer zunehmenden Beliebtheit. Die Nutzung von Referenden und Initiativen steigt rapide an. Zu den wenigen Ausnahmen zählt Deutschland, wo seit Ende des Zweiten Weltkrieges auf bundesstaatlicher Ebene keine einzige Abstimmung stattgefunden hat. In den Ländern und Kommunen präsentiert sich hingegen ein ganz anderes Bild. Die Volksrechte wurden in den letzten Jahren markant ausgebaut, was zu einer dynamischen Entwicklung geführt hat.

Am 3. November stimmten die Berliner über ein Volksbegehren ab, welches den Rückkauf des städtischen Stromnetzes zum Ziel hatte. Aus Schweizer Perspektive mutet das Ergebnis etwas merkwürdig an. Obwohl sich satte 83 Prozent der Teilnehmenden für die Vorlage aussprachen, kam das Volksbegehren nicht zu Stande. Es scheiterte an einer zusätzlichen Hürde – dem sogenannten Zustimmungsquorum. Das Zustimmungsquorum bestimmt den Anteil aller Stimmberechtigten, welche einer Vorlage zustimmen müssen – ganz unabhängig davon, ob sie an der Abstimmung teilnehmen. Im Berliner Fall musste neben dem einfachen Volksmehr ein Viertel aller Stimmberechtigten die Gesetzesrevision befürworten. Das Volksbegehren verfehlte diese Hürde knapp. Bei einer tiefen Stimmbeteiligung von 27,5 Prozent betrug das Zustimmungsquorum 24,1 Prozent. Für eine Annahme der Vorlage wären etwas mehr als 20‘000 weitere Ja-Stimmen erforderlich gewesen.

Das Zustimmungsquorum ist in Deutschland vielerorts üblich und kann bis zu 50 Prozent betragen. Die Idee, die dahinter steckt, erscheint auf den ersten Blick vernünftig. Mit dem Quorum sollen Zufallsentscheide verhindert werden. Wenn nur wenige Stimmberechtigte an die Urnen gehen, ist die Wahrscheinlichkeit von nicht repräsentativen Ergebnissen ganz erheblich. Allerdings setzt das Zustimmungsquorum einen falschen Anreiz, der leicht kontraproduktive Wirkung entfalten kann. Die Gegner von Volksbegehren können ein Interesse daran haben, keine öffentliche Debatte im Vorfeld des Abstimmungstermins entstehen zu lassen. Indem sie der themenspezifischen Diskussion fernbleiben, tragen sie zu einem geringen Interesse und Kenntnisstand der BürgerInnen über die anstehende Abstimmungsvorlage bei. Dies führt in aller Regel zu einer tiefen Stimmbeteiligung. Somit bekundet das befürwortende Lager Mühe, das vorgeschriebene Quorum zu erreichen.

Die Fehlkonstruktion des Zustimmungsquorums ist darin zu sehen, dass die strategische Option der Debattenverweigerung belohnt werden kann. Und genau dies ist in Berlin geschehen. Denn während die Befürworter des Rückkaufs des städtischen Stromnetzes über Monate und gut sichtbar geworben haben, setzten die Gegner auf Debattenverweigerung. Im Gegensatz dazu stellt sich dieses Problem beim einfachen Mehrheitsentscheid nicht. Unter dieser Voraussetzung bestreiten beide sich entgegen gesetzten Lager eine aktive Kampagne. Die Stimmbeteiligung fällt daher höher beim einfachen Mehrheitsentscheid aus als beim Zustimmungsquorum und, da die Kräfteverhältnisse zwischen Pro und Contra im Abstimmungsresultat besser abgebildet werden, auch repräsentativer.

2 thoughts on “Fehlkonstruktion Zustimmungsquote

  1. Noch absurder als das Zustimmungsquorum ist das Beteiligungsquorum, wie es in manchen deutschen Bundesländern und beispielsweise auch in Italien gilt. Dieses führt dazu, dass die Gegner einer Vorlage nicht nur die Debatte verweigern, sondern sogar aktiv dazu aufrufen, nicht an der Abstimmung teilzunehmen (sprich: die Bürger dazu aufrufen, ihre politischen Rechte nicht auszuüben). Das führt dazu, dass regelmässig Vorlagen mit 80 oder 90 Prozent Zustimmung scheitern, weil die notwendige Beteiligung nicht erreicht wurde. Andererseits kann es vorkommen, dass Vorlagen per Zufall angenommen werden, weil sich die Gegner nicht einig sind, ob sie Nein stimmen oder der Urne fernbleiben sollen. Solche absurden Resultate dürften dem Vertrauen der Stimmbürger in die Demokratie nicht gerade förderlich sein.

  2. Lieber Herr Leuzinger, vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich stimme Ihnen vollkommen zu. Das Beteiligungsquorum kann dazu führen, dass Nein-Stimmende durch ihre Teilnahme dem Ja-Lager zum Abstimmungssieg verhelfen – das ist in der Tat absurd. Beste Grüsse LB

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