Öffentliche Krankenkasse: Erneutes Debakel für die Linke?

Sechs Wochen vor dem Abstimmungstermin liefert 50plus1 eine Vorschau auf die Volksinitiative «für eine öffentliche Krankenkasse».

Seit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) im Jahre 1996 zeichnet sich die Schweizerische Gesundheitspolitik durch eine ausgeprägte Reformunfähigkeit aus. Sieht man von technischen Anpassungen im Rahmen der 1. KVG-Teilrevision und den Neuregelungen in der Spitalfinanzierung als Überbleibsel der zweiten Revision ab, verharrte dieser Politikbereich faktisch im Stillstand. Wie die Analyse von Uhlmann & Braun (2011) nachgezeichnet hat, sind in den letzten Jahren trotz stark ansteigender Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien nicht nur im Parlament, sondern auch an der Urne zahlreiche Vorhaben gescheitert.

Am 28. September befindet der Souverän mit der von der SP lancierten Volksinitiative «für eine öffentliche Krankenkasse» über den nächsten gesundheitspolitischen Reformvorschlag. Dabei handelt es sich innert der letzten 20 Jahre um den vierten Versuch der Linken, das Gesundheitswesen nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Am 4. Dezember 1994 lehnte die Stimmbevölkerung mit 76,6% Nein-Stimmen das Begehren «für eine gesunde Krankenversicherung» ab, das insbesondere eine Finanzierung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit sowie eine Beteiligung des Bundes an den Krankenversicherungsausgaben von mindestens 25% forderte. Die deutliche Ablehnung der von der SP und dem SGB zu Stande gebrachten Initiative kann u.a. darauf zurückgeführt werden, dass der Bundesrat damals das breit abgestützte Bundesgesetz über die Krankenversicherung auf das gleiche Datum ansetzte, das die rechtlichen Grundlagen für die Einführung des KVG schaffte.

Auch nach 1996 blieben der Linken die Kopfprämien ein Dorn im Auge. Neben acht weiteren eidgenössischen Vorlagen gelangte am 18. Mai 2003 die Volksinitiative der SP «Gesundheit muss bezahlbar bleiben» zur Abstimmung. Diese verlangte einkommensabhängige Prämien unter Berücksichtigung der familiären Situation, eine gebundene Erhöhung der Mehrwertsteuerprozente, einen verbesserten Risikoausglich sowie einen Ausbau der Bundeskompetenzen. Dabei handelte es sich dabei um analoge Forderungen, welche die Sozialdemokraten im Zusammenhang mit den ersten beiden KVG-Reformen gestellt hatten. Die klare Ablehnung in der Höhe von 72,9% kann insofern nicht als Zufallsentscheid interpretiert werden, als diese Vorlage im Rahmen der Abstimmungskampagne mit Abstand am intensivsten diskutiert wurde.

Nur drei Wochen nach diesem Debakel stürzte sich ein Teil der Linken in ein neues gesundheitspolitisches Abenteuer. Rund um das Genfer Mouvement Populaire des Familles formierte sich ein Initiativkomitee, das sich zusätzlich zur Festlegung der Prämien nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit eine Strukturänderung mittels der Etablierung einer Einheitskasse auf eidgenössischer Ebene bei einer tripartiten Aufsicht (bestehend aus Behörden, Leistungserbringern und Interessensvertreter der Versicherten) zum Ziel setzte. Unter dem Druck ihres linken Flügels unterstützte nach langem Zögern auch die SP das Volksbegehren, das nur dank der Bundesratspartei genügend Unterschriften sammeln konnte. An der Urne blieb die Volksinitiative chancenlos. Am 11. März wurde es von 71,2% der teilnehmenden Stimmbevölkerung verworfen.

Die im September zur Abstimmung gelangende Volksinitiative beschränkt sich nun auf die Strukturfrage. Wie dies im vorherigen Begehren der Fall war, wird eine einheitliche Krankenkasse und eine tripartite Aufsicht vorgeschlagen. Die einzige Neuerung betrifft die Verankerung eines föderalistischen Ansatzes. Demnach sollen kantonale Agenturen die Prämien einheitlich festlegen und die Leistungen vergüten. Dennoch verheisst die anstehende Volksinitiative nichts Gutes für die SP und ihre Verbündeten. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit linken Begehren, die sich eine radikale Neuausrichtung des KVG auf die Fahnen schrieben, ist von einer tiefen Zustimmung auszugehen. Bisher gelang es der Linken nicht einmal, ihre eigene Wählerschaft für ihre Anliegen zu mobilisieren. Daher würde eine wuchtige Ablehnung im Bereich von 70% zum jetzigen Zeitpunkt nicht überraschen.

Quelle:
Uhlmann, Björn & Dietmar Braun (2011). Die schweizerische Krankenversicherungspolitik zwischen Veränderung und Stillstand. Chur: Rüegger.