Öffentliche Krankenkasse: Warum hat sich die SP das angetan?

„Die Linke in der Schweiz kann es einfach nicht lassen! Immer wieder lanciert sie Volksinitiativen im Gesundheitsbereich. Aufgrund vergangener Abstimmungsresultate sollten doch die SP und ihre Verbündeten mittlerweile wissen, dass ihre Vorhaben zum Scheitern verurteilt sind.“ Dies war der Tenor der Rückmeldungen auf meinen Beitrag vom 17. August über die Erfolgsaussichten der von der SP lancierten Volksinitiative zur öffentlichen Krankenkasse. Ein Leser, der sich als SVP-Sympathisant ausgibt, wirft gar die Frage auf, ob die Linke im Allgemeinen und die Sozialdemokraten im Speziellen ideologisch borniert seien angesichts der Aussichtslosigkeit des neusten Unterfangens, über das am 28. September abgestimmt wird.

Insgeheim träumen vermutlich alle Mitglieder von Initiativkomitees von einem Abstimmungssieg. Bekanntlich bleibt es in den meisten Fällen bei einem frommen Wunsch. Dementsprechend müssen sich Initianten oft mit weniger ambitionierten Zielen zufrieden geben. Selbst wenn der Erfolg an der Urne ausbleibt, entfalten Volksinitiativen hierzulande nicht zu unterschätzende Wirkungen. Wolf Linder, der emeritierte Professor für Schweizer Politik an der Universität Bern, hat in seinem Standardwerk über die Schweizerische Demokratie eindringlich darauf hingewiesen, dass von Volksinitiativen vor allem indirekte Effekte ausgehen.

Im Fall der öffentlichen Krankenkasse hat sich dies erneut bestätigt. Obschon in Bundesbern wohl niemand ernsthaft mit einer Annahme des Volksbegehrens rechnete, konnte die SP den Bürgerlichen doch einige inhaltliche Konzessionen abringen. Zwar scheiterte bereits im Stadium der Vernehmlassung ein indirekter Gegenvorschlag, den der Bundesrat angeregt hatte. Davon übrig geblieben ist immerhin eine Vereinerung des Risikoausgleichs. Dieser wird nächstes Jahr umgesetzt und berücksichtigt neben dem Alter, dem Geschlecht und einem Spitalaufenthalt im Vorjahr neu auch den Medikamentenkonsum. Dadurch soll die viel kritisierte Jagd der Krankenkassen auf gute Risiken eingedämmt werden.

Zudem haben sich die beiden Kammern kürzlich auf die Konturen eines Krankenkassen-Aufsichtsgesetzes geeinigt. Ohne die Volksinitiative wäre es kaum zum Durchbruch gekommen. Das neue Gesetz setzt sich zum Ziel, die Transparenz zu erhöhen. So soll es die Offenlegungspflichten in Bezug auf die Vergütungen der Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte der Versicherungen sowie die Rückerstattungsmodalitäten von Reserven regeln, die in Folge von zu hoch angesetzten Prämien entstehen.

Die SP steht also nicht mit leeren Händen da. Auf inhaltlicher Ebene ist die Ausbeute der Initianten allerdings eher bescheiden ausgefallen. Ganz im Sinne des Bundesrats wurden keine radikalen Reformen, sondern gezielte Behebungen von Mängeln des aktuellen Systems beschlossen. Für Konzessionen, die über die soeben beschriebenen Massnahmen hinausgehen, bedarf es am 28. September eines Achtungserfolgs. Hierzu ist wohl ein Ja-Anteil von mindestens 40 Prozent erforderlich. Das Prognosemodell von 50plus1 erwartet jedoch eine tiefere Zustimmung. Somit kann nicht von weiteren Konzessionen zu Gunsten der Initianten ausgegangen werden.

Quelle: Linder, Wolf (2012). Schweizerische Demokratie: Institutionen, Prozesse, Perspektiven (4. Auflage). Bern: Haupt