Die wahren Profiteure der Erbschaftssteuer-Initiative

Die Volksinitiative „Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV“ wird am 17. Juni aller Voraussicht nach deutlich verworfen. Das erste Prognosemodell von 50plus1 hat einen Ja-Anteil von lediglich 31 Prozent ermittelt. Angesichts des Fehlens eines spannenden Ausgangs kann leicht vergessen gehen, dass das Volksbegehren bei ihrer Lancierung in gut situierten Kreisen für grosse Nervosität sorgte. Grund war die im Initiativtext verankerte Rückwirkungsklausel. Diese besagt, dass im Fall einer Annahme Schenkungen, die ab dem 1. Januar 2012 erfolgen, dem Nachlass zuzurechnen sind. Aus Angst vor einer zwanzigprozentigen Besteuerung ab einem Betrag von zwei Millionen Franken liessen Tausende wohlhabender Personen vor diesem Stichtag grössere Vermögenswerte – hauptsächlich Immobilien – auf ihre Nachkommen übertragen. Im Dezember 2011 berichtete die Presse von einem regelrechten Ansturm auf die Notariate.

Eine soeben erschienene Studie von Ben Jann (Uni Bern) und Robert Fluder (Berner Fachhochschule) liefert nun für den Kanton Bern aufschlussreiche Zahlen. Aus der unten stehenden Graphik gehen für den Zeitraum von 2002 bis 2012 die jährlichen Summen der Schenkungen hervor. Dabei erweist sich das Jahr 2011 als spektakulärer Ausreisser. Während sich der Umfang der Schenkungen in der untersuchten Periode üblicherweise auf rund eine Milliarde Franken belief, wurden im Boomjahr mehr als 4,7 Milliarden deklariert. Rechnet man diese Differenz auf die ganze Schweiz hoch, dürften allein aufgrund der Rückwirkungsklausel Vermögenswerte von gegen 30 Milliarden Franken übertragen worden sein.
Rückwirkungsklausel2

Dieses beträchtliche Transaktionsvolumen vermag nicht nur aus heutiger Sicht Erstaunen auszulösen. Bereits zum Zeitpunkt der Lancierung der Erbschaftssteuer-Initiative hätte man basierend auf drei Überlegungen zum Schluss kommen sollen, dass sich keine übereilten Schenkungen aufdrängten. Erstens waren die Erfolgschancen der Volksinitiative bereits im Vorfeld als sehr gering einzustufen. Bisher hat noch keine fiskalpolitische Volksinitiative der Linken eine Mehrheit der Stimmbevölkerung auf sich vereint. Hinzu kommt, dass für eine Annahme nicht nur das Volks-, sondern auch das Ständemehr erforderlich ist. Letzteres bevorteilt die konservativen Kantone, deren Einwohner linken Anliegen traditionellerweise kritisch gegenüberstehen.

Zweitens hat die jüngste Erfahrung mit angenommenen Volksinitiativen gezeigt, dass die Umsetzung nicht wortgetreu erfolgen muss. Selbst im Falle eines doppelten Ja ist nicht zu erwarten, dass die bürgerlich dominierten Ratsmehrheiten die Rückwirkungsklausel in der Ausführungsgesetzgebung berücksichtigen. Darüber hinaus war drittens ihre juristische Zulässigkeit von Beginn weg höchst umstritten. So hielt der Bundesrat in seiner Botschaft an das Parlament eine entsprechende Frist von mehreren Jahren für unverhältnismässig.

Somit bestätigt sich, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Jene Wohlhabenden, die vor dreieinhalb Jahren keinen kühlen Kopf bewahrten, gaben nicht nur einen Teil ihres Vermögens aus ihrer Hand, sondern hatten auch noch Handänderungsgebühren zu entrichten. Ins Fäustchen lachen können sich dagegen die Beschenkten der jüngeren Generation. Sie entpuppen sich als die wahren Profiteure der Erbschaftssteuer-Initiative.

Quelle: Jann, Ben & Robert Fluder (2015). Erbschaften und Steuern im Kanton Bern, Steuerjahre 2002-2012. Bern: Universität Bern.