Ist das Referendum gegen “Versicherungsspione” wirklich chancenlos?

Der Nationalrat hat ein neues Bundesgesetz angenommen, welches die Überwachung von IV-Rentnern, Arbeitslosen und Krankenversicherten mittels Detektiven erlaubt. In den sozialen Netzwerken hat sich darauf hin in rekordschneller Zeit Widerstand gegen die “Versicherungsspione” entwickelt. Aufgrund der gelungenen Online-Mobilisierung ist eine Unterschriftensammlung für die Erzwingung eines Referendums geplant. Im linken Lager wird jetzt debattiert, ob ein solches Referendum überhaupt Erfolgschancen hat. 50plus1 hat auf Basis des Abstimmungsverhaltens im Parlament eine Schätzung über den wahrscheinlichen Ausgang bei einer allfälligen Abstimmung berechnet.

Am 16. März hat der Nationalrat ein neues Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) angenommen. Gemäss dem Gesetz dürfen Versicherungen Leistungsbezüger bei Verdacht auf Missbrauch künftig durch Detektive observieren lassen. Mit richterlicher Genehmigung sind auch technische Geräte zur Standortbestimmung wie GPS-Tracker erlaubt. Gegen diese “Versicherungsspione” hat sich in den sozialen Medien schnell Widerstand formiert. In weniger als einer Woche haben mehr als 10’000 Personen ihre Unterstützung zugesagt und sich bereit erklärt Unterschriften für ein Referendum zu sammeln.

Doch sollte das Referendum zustande kommen, hätte es auch eine Chance auf einen Erfolg an der Urne? Gemäss Blick scheint die Parteispitze der SP die Erfolgschancen für sehr gering zu halten. Unterstützung erhalten diese Einschätzung auch vom Politologen Silvano Möckli. Er vergleicht auf Twitter das Referendum mit jenem zur Änderung des Asylgesetzes, welches schliesslich mit 78% Ja-Stimmen angenommen wurde.

Auf Basis des Wahlverhaltens in National– und Ständerat haben wir eine erste Schätzung über ein wahrscheinliches Abstimmungsresultat berechnet. Genauer genommen haben wir für die letzten 82 eidgenössischen Abstimmungen das Resultat an der Urne mit dem Abstimmungsverhalten in National– und Ständerat verglichen.* Weil das Abstimmungsverhalten im Parlament systematisch mit den Resultaten bei Volksabstimmungen korreliert, erlaubt dieser Vergleich einigen Aufschluss über die Chancen von Abstimmungsvorlagen. Auf Basis dieses “Parlamentsindikators” haben wir nun also das wahrscheinliche Abstimmungsresultat bei einem allfälligen Referendum berechnet.

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Abbildung: Zusammenhang zwischen Abstimmungsverhalten im Parlament und bei direktdemokratischen Abstimmungen

Die Abbildung oben zeigt den Zusammenhang des Parlamentsindikators mit dem Stimmanteil für die Regierungsposition (Ja bei Referenden und Nein bei Initiativen) an der Urne. Der rote Punkt zeigt die Vorhersage für das Referendum gegen die “Versicherungsspione”. Diese beträgt 60 Prozent Ja. Die Wahrscheinlichkeit für ein Nein und damit einen Erfolg des Referendums liegt nach dieser Schätzung bei nur etwa 2 Prozent (nicht abgebildet). Die Einschätzung der Skeptiker scheint also mit der vorhandenen Evidenz überein zu stimmen: Gemäss dem Parlamentsindikator ist also ein erfolgreiches Referendum sehr unwahrscheinlich.

Die Ausgangslage verändert sich auch nur geringfügig, wenn man in Betracht zieht, dass die Vorhersage die Unsicherheit über den Ausgang unterschätzt. Die Unsicherheit über den Ausgang der Abstimmung ist in Realität deshalb grösser als oben angegeben, weil die Schätzung auf ex-post Vorhersagen beruhte. Damit unterschätzt sie den Vorhersagefehler für Abstimmungen, welche in der Zukunft stattfinden. Aber auch wenn man für diese Verzerrung korrigiert, bleibt die Wahrscheinlichkeit für ein erfolgreiches Referendum gegen die “Versicherungsspione” bei weniger als 5%.**

Bemerkungen:
*Beim Schätzmodell handelt es sich um eine lineare Regression mit dem Stimmanteil für die Regierungsposition (Ja bei Referenden und Nein bei Initiativen) als abhängige Variable. Unabhängige Variablen sind die Stimmanteile nach Fraktion im Nationalrat, die Stimmanteile im Ständerat sowie eine dichotome Variable für den Typ der Vorlage (Initiative vs. Referendum). Weitere Variablen wie die Themenkategorie erhöhen die Prognosegenauigkeit nur minimal, erhöhen aber die Wahrscheinlichkeit eines “overfitting”.
**Um eine Schätzung für den in-sample bias zu erhalten, haben wir für die letzten 10 Abstimmungen out-of-sample Vorhersagen mit den 72 davor liegenden Abstimmungen berechnet. Das 99% Konfidenzintervall erhöht sich bei den out-of-sample Prognosen gegenüber den in-sample Prognosen um etwa 20%.