Je knapper das erwartete Abstimmungsergebnis desto höher die Stimmbeteiligung

In der Praxis sind Prognosemärkte von grossem Nutzen. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt liegen vergleichsweise verlässliche Schätzungen über den Abstimmungsausgang vor, wodurch strategische Entscheide, die zu Beginn eines Kampagnenengagements getroffen werden, ganz erheblich erleichtert werden können. Wie eine kürzlich präsentierte Analyse zeigt, kann sich die Verwendung solcher Daten auch in der Wissenschaft als viel versprechend erweisen. Die beiden Autoren von 50plus1 haben gemeinsam mit Sveinung Arnesen von der Universität Bergen (Norwegen) den Zusammenhang zwischen der erwarteten Knappheit von Abstimmungsergebnissen und der Höhe der Stimmbeteiligung untersucht. Dabei haben wir erstmals von Prognosemärkten Gebrauch gemacht, um die Erwartungen über den Ausgang der Abstimmungen zu erfassen.

Es ist zu erwarten, dass die Stimmbeteiligung mit zunehmender Knappheit über den Abstimmungsausgang steigt. In der Abstimmungsforschung liess sich interessanterweise dieser Zusammenhang bisher empirisch nicht erhärten. Im Fall der Schweiz ist eine umfassende Studie von Gebhard Kirchgässner (Universität St.Gallen) und Tobias Schulz (WSL) hervorzuheben. Die Autoren kamen zwar zum Schluss, dass bei knappen Abstimmungen die Kampagnen intensiver sind. Dies wirkt sich positiv auf die Abstimmungsbeteiligung aus, doch konnte kein direkter Effekt der erwarteten Knappheit auf die Beteiligung nachgewiesen werden. Die Studie von Kirchgässner und Schulz besticht mit ihrer methodische Qualität. Allerdings sah sie sich zu diesem Zeitpunkt mit einem unlösbaren Problem konfrontiert: Sie verfügten über keine Daten zu den Erwartungen der Stimmbürgerschaft über die Abstimmungsausgänge. Daher mussten die Autoren das tatsächliche Abstimmungsresultat als Approximation für die diesbezüglichen Erwartungen heranziehen. Dies ist natürlich problematisch, da die Abstimmungsergebnisse anders ausfallen können als von den Stimmberechtigten erwartet.

In unserer Analyse hingegen konnten wir Daten verwenden, welche die Erwartungen von Stimmberechtigten über den Abstimmungsausgang messen. Dazu verwendeten wir nämlich die Vorhersagen des Prognosemarktes politikprognosen.ch für 40 eidgenössische und kantonale Abstimmungen. Die Vorhersagen des Prognosemarktes sind ein guter Indikator, weil sie durch Wetten auf das Abstimmungsergebnis zustande kommen und damit direkt auf den Erwartungen über den Ausgang der Abstimmungen basieren. Misst man nun die erwartete Knappheit des Abstimmungsergebnis mit den Daten des Prognosemarktes, so findet man tatsächlich einen signifikanten Zusammenhang zwischen der erwarteten Knappheit der Abstimmungsergebnisse und der Abstimmungsbeteiligung. Dies deutet daraufhin, dass die BürgerInnen eher dann zur Urne gehen, wenn sie das Gefühl haben, dass es auf ihre Stimme ankommt.

 

Quellen:

Kirchgässner, G. und Schulz, T. (2005) ‘Was treibt die Stimmbürger an die Urne? Eine empirische Untersuchung der Abstimmungsbeteiligung in der Schweiz, 1981-1999’, Swiss Political Science Review, 11(1), 1–56.

Strijbis, O., S. Arnesen und L. Bernhard (2014): ‘Does the expected closeness increase the turnout? Evidence from a prediction market on Swiss popular votes. ’ Paper präsentiert am Jahreskongress der Schweizerischen Vereinigung für Politische Wissenschaft,  Bern, 31. Januar 2014.