Durchsetzungsinitiative: Wo bleibt Ivan S.?

Blenden wir zurück: Im November 2010 hatte die SVP mit ihrer Durchsetzungsinitiative Erfolg. Im Abstimmungskampf sorgten zwei Kampagnensujets für Aufsehen. Zum einen die Schäfchen, die von Volkspartei erstmals im Rahmen des eidgenössischen Wahlkampfs 2007 eingesetzt wurden Zum anderen blickte “Ivan S.“ von den Plakatwänden, ein angeblicher Vergewaltiger mit ausländischem Pass.
flyer-d.pdf
Nun fällt auf, dass im Rahmen der Kampagnenkommunikation zur Durchsetzungsinitiative auf Seiten des Pro-Lagers nur Schäfchen zu sehen sind. Weshalb verzichtet die SVP auf “Ivan S.“? 50plus1 liefert drei mögliche Erklärungen:

1) Die strategische Ausgangslage präsentierte sich vor fünfeinhalb Jahren ganz anders, da zusätzlich über einen direkten Gegenvorschlag abgestimmt wurde. Diesen hatten die eidgenössischen Räte verabschiedet, um dem Volksbegehren den Wind aus den Segeln zu nehmen. Damals gelang der SVP das Kunststück, nicht nur eine Mehrheit für die eigene Initiative zu erreichen, sondern auch die Kompromissvorlage zu versenken. Für die Volksinitiative setzte sie auf die vermeintlich harmlosen Schäfchen – Ja! Beim Gegenvorschlag führte sie demgegenüber das Feindbild “Ivan S“ ins Feld – Nein! Dieses Mal hat die SVP lediglich eine Ja-Kampagne zu bestreiten. Insofern erscheint es konsequent, dass die SVP nur die Schäfchen reaktiviert hat.

2) “Ivan S.“ wäre ein Eigentor. Gemäss dem zweiten Erklärungsansatz hat die befürwortende Seite in diesem Abstimmungskampf gar kein Interesse daran, Schwerverbrecher ins Zentrum ihrer Kampagne zu stellen. Die Gegner könnten nämlich entgegen halten, dass solche Täter auch mit der vom Parlament verabschiedeten Ausführungsgesetzgebung ausgeschafft werden. Letztere tritt bei einer Ablehnung der Durchsetzungsinitiative zügig in Kraft. Der Rücktriff auf “Ivan S.“ würde sich aus Sicht der befürwortenden Seite somit als kontraproduktiv erweisen.

3) Das Feld ist bestellt – die SVP muss nur noch ernten. Wie die Vergangenheit und erste Umfragen zeigen, ist die Vorlage grundsätzlich mehrheitsfähig. Die Mobilisierung des Ausländerthemas über Jahrzehnte und Erfolge vor dem Volk (Minarette, erste Ausschaffungsinitiative und Volksinitiative gegen Masseneinwanderung) haben in der Bevölkerung Spuren hinterlassen. Neben diesem permanenten Wahlkampf profitierte die SVP von vorteilhaften Umständen – die Asyldebatte, terroristische Anschläge in Paris und die Vorfälle in Köln. Somit kann die befürwortende Seite auf das Risiko verzichten, zusätzliche Provokationen zu platzieren.
Allerdings dürfen sich die Befürworter aufgrund der Erstarkung der Initiativgegner durch zivilgesellschaftliche Kräfte eines Sieges nun nicht mehr sicher sein. Gemäss den jüngsten Umfragen liegt neuerdings sogar das Nein-Lager in Front. Es stellt sich somit die Frage, ob die SVP in den nächsten Tagen doch noch mit “Ivan S.“ oder einer neuen Provokation in den Abstimmungskampf eingreift.